Deshalb ist eine Altersbeschränkung für Bücher die falsche Lösung
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Warum eine Altersbeschränkung für Bücher nicht die richtige Lösung ist!

Als ich in den Sommerferien in Frankreich war, habe ich dort in der Bücherabteilung eines Supermarktes ein Gespräch unter Geschwistern mitbekommen. Dort hat ein Kind/Jugendlicher von ca. 12 bis 13 Jahren “Icebreaker” von Hannah Grace in der Hand gehalten, als würde es es gerne kaufen wollen. Ich hatte und habe noch immer die Hoffnung, dass das Buch für die große Schwester gedacht war, die mit dem sexuellen Inhalt des Buches besser umgehen kann als ein Zwölfjähriger. Seitdem geht mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: Brauchen wir eine Altersbeschränkung für Bücher?

Zu diesem Thema habe ich bereits einen ausführliches Post mit Pro- und Contra-Argumente, potentiellen Schwierigkeiten bei der Umsetzung und Lösungsmöglichen gemacht. Was jetzt natürlich noch gefehlt, ist, dass ich meinen Senf zur Debatte dazugebe. Denn auch wenn eine Altersbeschränkung für Bücher im ersten Moment vielleicht die Lösung aller Probleme zu sein scheint, ist es eben nicht die richtige Lösung.

Meine Probleme mit einer Altersbeschränkung für Bücher

Die Idee einer Altersbeschränkung ist per se eine gute – wir schützen Kinder und Jugendliche davor, versehentlich Bücher zu kaufen, die für ihre Altersgruppe gar nicht geeignet sind. Mir ist das auch schonmal passiert, als ich in der Buchhandlung “Morgen lieb ich dich für immer” von Jennifer L. Armentrout gekauft habe. Das Buch spricht Themen wie Kindesmisshandlung und Ganggewalt an, die ich in der Jugendbuchabteilung nicht erwartet habe. Dementsprechend komisch war das Lesen auch für mich, weil ich beim Cover und Klappentext eigentlich an eine süße Lovestory gedacht habe. Auch jetzt sehe ich vermehrt New Adult Romane, die von Buchhandlungen als Young Adult betitelt werden und jedes Mal juckt es mich in den Fingern, die Bücher einfach umzusortieren, damit junge Menschen die Bücher kaufen können, die zu ihnen passen.

Aber eine Altersbeschränkung kann hier auch wieder schädlich sein, denn:

Altersbeschränkungen schützen nicht alle

Das Ziel von Altersbeschränkungen ist ja eigentlich, vor allem junge Lesende davor zu schützen, gewalttätige und sexuelle Inhalt zu konsumieren, die nicht ihrem Alter entsprechen. Doch an das Alter ist nicht immer die Entwicklung geknüpft, denn – suprise, suprise – jeder Mensch entwickelt sich anders. Einige Zehnjährige können “Die Tribute von Panem” locker lesen, ohne nachts Albträume davon zu haben, und gleichzeitig den Inhalt verstehen. Bei einigen Sechzehnjährigen könnte es aber genau zu diesen Albträumen kommen, weil die geistige Entwicklung und die Erfahrungen mit dem Thema fehlen. Eine Altersbeschränkung ist jedoch eine generalisierte Angelegenheit, d.h. hier wird entschieden, für welchen Durchschnittszehnjähriges welches Buch zu brutal ist. Aber es gibt eben auch Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Und wenn ich mir die Jugendbuchabteilungen so anschaue und darauf achte, welche Bücher tatsächlich Young Adult sind und dort hingehören, fällt auf, dass einige von ihnen durch die Altersbeschränkung dort gar nicht stehen würden. Und das ist ein verdammt großes Problem, denn:

Den jungen Lesenden fehlen wichtige Inhalte!

Eine der wohl einflussreichsten Dystopien unserer Zeit ist “Die Tribute von Panem” von Suzanne Collins. Das Buch zeigt nicht nur auf, wie ein totalitäres Regime es schafft, die Mehrheit seiner Landsleute zu unterdrücken, sondern auch noch tödliche Spiele mit Kindern zu legitimieren. Das und viele weitere Aspekte würden bei einer Altersbeschränkung aufgrund von gewaltvollen Szenen vielleicht für Jugendliche nicht mehr zugänglich sein. So würde das Buch Jugendlichen nicht mehr zeigen können, wie wichtig Rebellion, Freiheit und Demokratie sind. Und das trifft nicht nur auf dieses Buch zu, denn viele Dystopien oder auch Bücher aus anderen behandeln Themen an Puls der Zeit, die manchmal eben auch Szenen mit Gewalt brauchen, um ihre Bedeutung zu stützen.

Gerade bei der jungen Zielgruppe halte ich das für fatal. Dystopien und andere Coming-of-age-Romane sind speziell für diese Altersgruppe geschrieben und so konzipiert, dass sie aktuelle politische und gesellschaftliche Themen auf unterhaltsame Weise verpacken, um sie jungen Menschen vor Augen zu führen. Diese Bücher sind verdammt wichtig für unsere Zukunft und nicht erst die in 100 Jahren. “Ophelia Scale” von Lena Kiefer spricht die Gefahr von KI an, die in Zeiten von ChatGPT realer denn je ist. In “Die Tribute von Panem” von Suzanne Collins kommen auch Elemente wie oppressive Staaten zum Vorschein, die wir aktuell in Ländern wie Russland und China haben und die sich ähnlich auch in Europa entwickeln. Diese Bücher zeigen jungen Menschen, warum es keine gute Idee ist, Parteien wie die AfD zu wählen, weil sie Menschen unterdrücken, deportieren und ihnen ihre Rechte entziehen.

Stellen wir uns jetzt einmal vor, wie Dystopien es auch so gerne machen, dass der Worst-Case eintritt und wir nun tatsächlich eine Altersbeschränkung an der Backe haben. Wie würde diese aussehen?

Wie setzt man eine Altersbeschränkung durch?

Das Problem mit dem Internet

In der Buchhandlung könnte man wie im Kino ja noch nach dem Personalausweis fragen, wenn die Person zu jung für das Buch scheint, das erst ab 16 Jahren freigegeben ist. Bei der filmischen Ausnahme, dass Filme ab zwölf Jahren in Begleitung der Eltern auch unter zwölf angeschaut werden dürfen, ist es mit den Parallelen aber schon wieder vorbei. “Die Tribute von Panem” werden mit Sicherheit keine Gute-Nacht-Geschichte sein, die man gemeinsam mit den Eltern liest. Meistens werden die Bücher sowieso alleine konsumiert, ohne dass jemand dabei wäre, um bei kritischen Szenen diese aufzuklären oder bei brutalen Szenen diese gemeinsam zu überstehen.

In comes the internet: Ein Ort, an dem es kaum bis keine Kontrolle gibt. Auf Netflix gibt es beispielsweise die Möglichkeit, als Elternteil einzuschränken, dass Kinder Filme ab zwölf Jahren gar nicht erst anschauen können (ob das jetzt auch von den Eltern genutzt wird und die Kinder das nicht selbst ändern, sei mal dahingestellt). Aber wenn ich bei Thalia als Zwölfjähriger mit den Kreditkartendaten meiner Mutter ein Buch kaufe, fragt da niemand nach, ob die Person, das die Buch später erhält, tatsächlich alt genug ist. Soll man bei einer Altersbeschränkung hier jetzt eine Personalausweiskopie hinschicken müssen, um ein Buch zu kaufen? Und muss ich das dann bei jedem einzelnen Onlinebuchladen machen oder gibt es dafür eine Datenbank, auf die alle zugreifen können?

Alternativ könnte man auch Verlage verpflichten, gut sichtbar auf dem Buch aufzudrucken, für welche Alterklasse es ist, nachdem es mit brachenweit einheitlichen Standarts geprüft wurde. Nun ist aber zu beachten, dass Verlag in erster Linie auch Unternehmen sind, die Profite machen möchten. Was, wenn sie dann ein, zwei Jahre weniger angeben, als das Buch wirklich wäre, um mehr Gewinne zu machen? Wer überprüft die Verlage? Eine ähnliche Instanz wie die FSK bzw USK für Filme und Videospiele?

Und was ist mit dem Self-Publishing? Hier gibt es weder Verlage, noch (in den meisten Fällen) Buchhandlungen, die eine Altersbeschränkung einschätzen und überprüfen. Soll man da alles auf die SelfpublisherInnen abwälzen oder die Selfpublishing-Plattformen, auf denen täglich tausende neue Bücher veröffentlicht werden? Wäre das nicht der finanzielle Untergang dieser Art, Bücher zu veröffentlichen?

Welche Lösungen gibt’s denn dann?

Wie wir sehen, gibt es Handlungsbedarf für Bücher, gerade in Jugendbuchbereich. Deshalb habe ich hier zwei Alternativen zu einer Altersbeschränkung, die ich für sinnvoller erachte.

Triggerwarnungen statt Altersbeschränkung

Vielleicht sind Altersbeschränkungen zu restriktiv, dann greift man doch lieber zu Triggerwarnungen. Ja, auch diese sind kontrovers diskutiert, aber sie beschränken nicht so sehr, weil sie keiner Altersgruppe Bücher verbieten. Wenn die Triggerwarnung hinten im Buch steht, besteht auch die Möglichkeit, das Buch ohne Spoiler zu lesen, wenn man sie sich nicht anschaut, weil man weiß, dass man nicht getriggert wird.

Bei Büchern, die man unter 18 Jahren nicht lesen sollte, dies auf das Buch drucken

Ich habe das schon mehrfach in den Niederlanden bei “Paper Princess” von Erin Watt gesehen und auch Verlage wie LYX hatten zumindest in ihrer Vorschau digitale Sticker mit “18+” auf den Covern kleben. So kann man immerhin verhindern, dass Erwachseneninhalt (sexueller wie gewalttätiger) von Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden kann. Oder zumindest mehr als aktuell, weil sich junge Lesende natürlich immer noch für das Buch entscheiden können, obwohl da “18+” draufsteht. Aber man macht eben schonmal mehr als heute noch.


Zuletzt ist mir wichtig zu sagen, dass ich keine Expertin in diesem Feld bin. Ich habe viel zum Thema recherchiert und bin seit Jahren Teil der Buchcommunity auf Instagram, aber ich habe kein Fachwissen in diesem Bereich. Es ist immer wichtig, sich über mehrere Quellen zu Themen wie diesen zu informieren, deshalb hier noch zwei spannende Artikel von der lieben Miss Pageturner aka Sandra und Jens von “Bücher wie Sterne”, die weitere Perspektiven aufzeigen und beide fantastisch geschrieben sind!

Jetzt interessiert mich aber erstmal deine Meinung – wie stehst du zu einer Altersbeschränkung für Bücher? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen!

Viel Spaß beim Schmökern

Pearl Diver of Books

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